Emanzipation ist in der klassischen Musik noch lange nicht angekommen – oder nur in dem Maße wie im Rest unserer Gesellschaft auch.
Am ersten Tag des neuen Jahres saßen wir vor dem Fernseher, als Gustavo Dudamel diesen dämlichen Trick mit dem Taktstock aufführte, der ihm vor lauter männlicher Energie in die Geigengruppe flog. Damals sprach ich mit meiner Frau gerade über das Schwerpunktthema der aktuellen crescendo-Ausgabe, und sie sagte, eher im Scherz: „Emanzipation in der Klassik ist vielleicht erreicht, wenn eine Frau das Neujahrskonzert in Wien dirigiert.“
Da war natürlich etwas dran: Immerhin sind gerade die Wiener Philharmoniker bekannt für ihre Probleme mit Frauen. Erst 1994 wurde die „Arbeitsgruppe Frauenrechte Menschenrechte“ gegründet, die das Orchester zu einer Erklärung aufforderte, warum es noch immer keine Frauen aufnehme. Im folgenden Jahr erklärten die Philharmoniker, dass dem Engagement von Frauen sozial- und arbeitsrechtliche Probleme im Wege stünden. Selbst als dem Ensemble ein weiteres Jahr später mit Subventionsentzug gedroht wurde, zögerten die Wiener und verzichteten lieber auf 2,5 Millionen Staatsschilling, als eine Frau zu engagieren. Erst am 27. Februar 1997 wurde die Harfenistin Anna Lelkes (sie spielte zuvor bereits 26 Jahre als Gast im Orchester) offiziell aufgenommen. Und selbst das war für viele Musiker noch immer ein Affront. Der damalige Vorstand Werner Resel trat als Gegner von Frauen im Orchester zurück. Selbst 1998 standen die Wiener Philharmoniker bei einem Gastspiel in der Carnegie Hall noch immer in der Kritik, als die LA Times ein Statement der National Organization for Women veröffentlichte, für die das Orchester eine „rassistische und frauenfeindliche Philosophie“ vertrat. Aber die Wiener machten stur weiter: Als die Harfenistin Julie Palloc das Probespiel gewann, scheiterte sie am Probejahr – Palloc wurde nie wieder zu einem Probespiel eingeladen.
All das wissend, dachte ich, ja, eine Frau als Dirigentin des Neujahrskonzertes, das wäre wirklich eine Revolution (abgesehen davon, dass es spannender wäre als dieser überdrehte Chavez-Propagandist Dudamel, der einzig deshalb engagiert wurde, damit die Philharmoniker es auf dem südamerikanischen Markt leichter haben, und der sogar das Taktstock-Wegwerfen schon am Vorabend geprobt hatte). Als das Publikum im Goldenen Musikvereinssaal bereits den Radetzkymarsch mitklatschte, sagte ich zu meiner Frau allerdings auch: „Aber wenn Simone Young dirigiert, dann ist das auch missverstandene Gleichberechtigung.“ Schließlich gibt es nichts Frauenfeindlicheres als eine Frau nur deshalb zu engagieren, weil sie eine Frau ist – ungeachtet ihrer Qualitäten oder ihrer nicht vorhandenen Qualitäten. Aber gerade diese Denkweise hält in der Klassik ebenfalls Einzug. So wie neulich in Bremen, als irgendwelche Provinzpolitiker forderten, dass der Nachfolger von Markus Poschner aber bitte unbedingt eine Nachfolgerin sein sollte.
Machen wir es kurz: Mit der Gleichberechtigung von Frauen ist es in der klassischen Musik genau so weit gediehen wie andernorts auch – und es fehlt genau so viel. Frauen gehören zwar längst zum Bild der Klassik, sind Dirigentinnen, Regisseurinnen, Solistinnen oder Intendantinnen – aber sie erledigen all diese Jobs noch immer in der Minderheit und oft mit Ressentiments. Das ist in der Klassik nicht anders als in den Vorstandsetagen unserer Firmen.
Natürlich könnte man denken, dass der klassischen Musik gerade in der Frauenbewegung eine besondere Rolle zukommen müsste. Immerhin geht es hier ja um Humanismus, um Leidenschaft und – gerade in der Oper – meist um die Liebe. All das kommt bekanntlich weder ohne Männer noch ohne Frauen aus. Aber die klassische Musik war und ist eben immer auch ein Kind ihrer Zeit. Und es gab Epochen, in denen die Sitte der Kirche den Damen den Auftritt auf offener Bühne verbot und es für moralischer gehalten wurde, arme sizilianische Jungen zu kastrieren und ihren tausendfachen Tod in Kauf zu nehmen, statt einer Frau zu erlauben, öffentlich aufzutreten.
Ja, die Branche der klassischen Musik hat sich leider oft nicht als emanzipatorischer Vorreiter behauptet. Als Sängerinnen endlich erlaubt waren, standen sie lange Zeit auf einer Ebene mit Prostituierten. Und die Liste von Frauen, die ihre Karriere am Klavier oder als Komponistin den Männern opfern mussten, ist endlos – Clara Schumann ist nur ein prominentes Beispiel. Klar, einige Männer-Komponisten haben starken Frauen wie Elektra, Lulu oder Brünnhilde großartige Denkmäler gesetzt. Sie wussten natürlich, dass die ganze Chose ohne Weiber nicht geht. Selbst in der leichten Musik war nicht alles Macho-Macho. Ein Lied Damenwahl war schon bei der Premiere der Lustigen Witwe nicht nur ein Gassenhauer der Operette und Tanzaufforderung, sondern bewusstes, politisches Statement. Aber selbst jene Komponisten, die in ihren Werken die Emanzipation voraussehend vorweggenommen haben, waren im realen Leben oft Chauvis oder unfähig, mit dem anderen Geschlecht umzugehen: Mozart, der starke Frauen wie Donna Elvira oder die Königin der Nacht und grauenhafte Grapscher wie den Grafen Almaviva schuf, schaffte es im wahren Leben nicht, seiner Constanze treu zu sein. Und Wagner, der das endgültig emanzipierte Opernweib mit Weltenretterinnen wie Brünnhilde erfunden hatte, träumte in Seidenunterwäsche am liebsten vom „Weib der Zukunft“, dessen einzige Aufgabe darin bestehen sollte, ihrem Mann zu dienen – Minna brach er damit das Herz, Cosima deutete die Rolle als unliebsame Eheherrin um.
Sicher, viele dieser Entwicklungen sind historisch bedingt und durch die Sitten der Vergangenheit zu erklären. Natürlich dürfen wir uns nicht wundern, dass heute so wenige Komponistinnen des 18. und 19. Jahrhunderts gespielt werden – sie hatten damals keine Chance. Selbst dass auf der Wikipedia-Seite der Wiener Philharmoniker noch immer keine Dirigentin verzeichnet ist, zeigt nur, wie kurz die Geschichte der Gleichberechtigung ist.
Und sind wir heute weiter? Jein! Im Angesicht der emanzipatorischen Anfangsschwierigkeiten steht es nicht dramatisch schlecht um die Emanzipation in der Welt der Klassik. Viele Frauen mit großer Qualität geben längst den Ton an: Komponistinnen wie Olga Neuwirth, Sofia Gubaidulina oder Lera Auerbach, Dirigentinnen wie Susanna Mälkki, Simone Young oder Aldora de la Parra und Intendantinnen wie Elisabeth Sobotka in Bregenz oder Andrea Zietzschmann bei den Berliner Philharmonikern sind klug und erfolgreich – aber sicherlich noch in der Minderheit. Sie sind allerdings der Anfang eines Trends. Und zumindest was den PR-Chauvinismus betrifft, stehen sich Frauen und Männer schon lange in nichts mehr nach: So wie eine Sängerin zuweilen auf ihr Aussehen reduziert wird, passiert das inzwischen auch bei Tenören, und im Gegensatz zu Anne-Sophie Mutter oder Vilde Frang scheint es bei manch lederbandbehangenem Geiger viel mehr ums Äußerliche zu gehen als um die Qualität des Klangs.
Und dennoch, in ihren Führungsebenen ist auch die Klassik noch viel zu oft ein patriarchales Macho-Gewerbe. Gerade bei einigen altgedienten Intendanten oder Regisseuren scheint nicht angekommen zu sein, dass Intensität und Leidenschaft nicht das diskriminierende Fluchen auf der Bühne legitimieren. Was man zuweilen von Proben hört, von Vorstellungsgesprächen mit Regisseurinnen oder Bühnenbildnerinnen, ist zuweilen primitiver als der Steinzeit-Adam. Ausdrücke wie „du dumme Kuh“ oder „Sie mit Ihrem seichten Frauenzeugs“ sind da eher noch freundliche Ausfälligkeiten.
Dennoch entwickelt die klassische Musik sich weiter, nicht schneller, aber auch nicht langsamer als der Rest der Gesellschaft. Wohin, das ist besonders beim Nachwuchs zu sehen. Im Bundesjugendorchester liegt der Frauenanteil bei weit mehr als 50 Prozent. Ein eindeutiges Zeichen, dass das traditionelle Männerorchester langfristig ausstirbt. Irgendwann wird dieser Trend dann auch bei den Spitzenensembles ankommen. Derzeit sind von den 128 Berliner Philharmonikern gerade einmal 19 Musikerinnen, fast doppelt so hoch ist der Anteil im London SymphonyOrchestra und bei den New York Philharmonics. Die Wiener Philharmoniker sind in diesem Ranking noch immer abgeschlagen. Vielleicht ist der Anteil der mitspielenden Damen der wahre Gratmesser beim nächsten Neujahrskonzert, und wenn es dann irgendwann in Wien klappt, funktioniert es andernorts schon lange. Denn wie sagte bereits Gustav Mahler: „Wenn die Welt untergeht, dann zieh‘ nach Wien – denn da passiert alles 50 Jahre später.“