Mario Barth war in der Oper – und findet, dass sie weitgehend überflüssig ist. Kindergärten sind ihm wichtiger. Die Stadttheater sind sauer – aber das hilft ja nichts. Wir müssen lernen, mit Leuten wie Barth umzugehen.
Es wäre zu leicht, Mario Barth mit seinen eigenen Mitteln ad Absurdum zu führen, etwa indem man irgendwann ins Berliner Olympiastadion stolpert, am besten früh am Vormittag, um den Dezemberfrost auf den leeren Sitzen zu fotografieren und auf Facebook den Beweis von Mario Barths Nichtexistenz zu posten: „Der Barth soll mit seinen Humorveranstaltungen doch dauernd das Olympiastadion füllen, sagt er. Und jetzt? Mal echt, ey, nichts. Nüschte! Keiner da, niemand. Nicht gelogen, guck, keine Sau. Is wahr, echt wahr. Den gibt’s’ gar nicht, den Barth, ey. Wie geil ist das denn, wie geil. Echt, nicht gelogen. Niemand hier. Is so. Ey, wie geil issn das, dass es den gar nicht gibt, hier. Echt wahr, der is gar nicht da. Den gibt’s garnich, den Barth, wie geil issn das, wie geil, echt geil. Echt jetzt. Is so. Echt.“
Mit ähnlichen Mitteln hat Barth vor einigen Wochen versucht, zu beweisen, dass es die Anti-Trump-Demonstrationen vor dem Trump-Tower gar nicht gibt. Er war am Vormittag vor dem Gebäude und hat gefilmt, dass niemand demonstrierte und erklärt, dass er, der Aufdecker, die weltweite Presse nun der Lüge überführt habe. Bei Jan Böhmermann wäre das vielleicht der Anfang für eine bitterböse Mediensatire. Bei Mario Barth war das bereits der ganz ernst gemeinte Witz: Die Presse lügt, er spricht die Wahrheit.
Opas Oper
Nun ist er für seine RTL-Sendung „Mario Barth deckt auf“ mit ähnlichen Mitteln ins Stadttheater nach Hannover gefahren, um zu zeigen, dass die Sache mit den Kultursubventionen auch ein bisschen Scheiße läuft – „ehrlich, echt wahr, ey, is so“. Dass die „Zauberflöte“ noch immer gespielt wird, sei, als wenn Justin Timberlake in 20 Jahren noch die gleichen Lieder singen würde und dabei nur ein anderes Jackett anhätte. Und natürlich ist Barth sofort das etwas greise Publikum in der „Manon Lescaut“-Aufführung aufgefallen, weshalb er die Oper – achtung Kalauer! – sofort mit dem Opa verwechselt. Seine sarkastische Schlussfolgerung: „Scheiß auf Kindergärten, das hier ist viel wichtiger.“
Was wirklich amüsant ist, sind die Reaktionen auf seine Sendungen. Barths Trump-Beweis rief sofort die Presse auf den Plan, die mit feuilletonistischer Raffinesse argumentierte, dass Barth ein unangenehmer Protagonist des Postfaktischen sei und überhaupt: Ein Vorzeige-Populist, der Donald Trump des deutschen Humors. Mindestens genau so groß war der Aufschrei in der etablierten Theaterlandschaft nach Barths Hannover-Besuch. Aber wie kann das auch gut gehen, wenn ein chauvinistischer Witzeerzähler an einen Ort kommt, an dem ansonsten Weiber wie Salome oder Brünnhilde regieren?
Was darf Satire?
Einer der richtigsten und wichtigsten Sätze über den Humor hat Kurt Tucholsky aufgeschrieben: „Was darf Satire? Alles!“ Ein Satz, der bei den Mohammed-Karikaturen ebenso ins Feld geführt wurde wie bei Böhmermann. Und ein Satz vor allen Dingen, den jedes deutsche Stadttheater für sich in Anspruch nehmen wird. Wenn wir uns vergewissern wollen, dass Deutschland noch nicht verloren ist und dass unsere Demokratie noch immer funktioniert, reicht es, sich zu vergegenwärtigen, dass jedes Theater, jeder Mensch, jeder Komiker sagen kann, was er für richtig hält: die einen ebenso wie die anderen. Mario Barth ebenso wie Olli Welke.
Und genau deshalb ist die Herausforderung, vor die uns der Humor des selbsternannten Volkskomikers stellt, größer als beleidigt zu sein und die intellektuellen Messer zu wetzen, mit denen ein hohler Schwamm wie Barth eh nicht zu schneiden ist. Das Prinzip von Provokation und Reaktion, das Barth in das, was er Humor nennt, übersetzt, gleicht tatsächlich jenem Prinzip, mit dem wir uns in unserer zunehmend gespaltenen Gesellschaft alltäglich konfrontiert sehen: Eine Kommunikation – sowohl im Politischen als auch im Kulturellen oder im Satirischen – die nicht mehr ineinandergreift, die nicht mehr aufeinander reagiert, sondern die aneinander vorbei kommuniziert. Bei dem, worüber die einen lachen, hört bei den anderen der Spaß auf, und das, was den einen Heilig ist, ist für die anderen nur ein Witz.
Beim Lachen ist der Mensch wahrhaftig
Wie viel Realsatire inzwischen bereits in unserer Wirklichkeit steckt, zeigte Norbert Hofer als er auf Barths Trump-Beitrag reagierte. Für den Rechten Österreichischen Präsidentschaftskandidaten steht Barths Humor allen Ernstes für „Bildung, Aufklärung, Recherche, Tatendrang und Hoffnung.“ Für Hofer und Co. symbolisiert Barth den vielleicht etwas flach gelegten, aber real existierenden Menschenverstand. Mario Barth ist so etwas wie der Pulsmesser des Populismus, dort, wo es wirklich weh tut, wo der Mensch ungeschminkt ist, wo er alle Masken ablegt: beim Lachen.
Und, klar, Barth bedient die selben Mechanismen wie der real existierende, politische Populismus: Das Komplexe als Einfaches zu behaupten. Er schrumpft die Welt auf die Größe der männlichen Hosentasche. Sein Humor funktioniert wie die populistische Politik: simpel, archaisch und direkt – und am Ende war doch alles nur ein Spaß. Fakten sind nicht so wichtig, Hauptsache am Ende steht eine Pointe und so etwas wie eine fassbare Erklärung der Welt. Trump, Hofer, Petri und Co. versprechen eine Welt, wie sie einmal war: mit nationalen Grenzen, Arbeitsplätzen in längst abgetakelten Industriefeldern und in klaren, gesellschaftlichen Strukturen, in denen das Fremde als Fremdes erkennbar bleibt. Eine Vergangenheit, in der Mario Barth mit seinem Haudrauf-Humor schon angekommen ist: er stellt den Männerstammtisch mitten in unsere globalisierte Welt und tut so, als wäre alles viel einfacher als es scheint – „is so, echt, ey, geil, noch n Bierchen?!“
Der Umgang mit Barth ist entscheidend
Auch deshalb ist die Frage nach dem Umgang mit dem Humor von Mario Barth nicht nur die Frage danach, wie Kultur auf populären Humor reagieren soll, sondern auch danach, ob und wie die zwei unterschiedlichen Kommunikationsebenen innerhalb unserer Gesellschaft wieder geschlossen werden können. Sicher ist, die einen werden über Barths Humor wohl nie lachen, und die anderen wohl kaum ein Stadttheater betreten.
Das Opernhaus wird wegen Mario Barth kein Publikum verlieren. Es wird nur kein neues anlocken. Und genau hier wird es spannend: Barth und ein Großteil seines Publikums kann einfach nichts mit dem, was an unseren Bühnen stattfindet, anfangen. Und klar, dass diese Leute sich fragen, warum sie das Ganze mitbezahlen sollen. Barth liefert ihnen die populistische Gretchenfrage dazu: „Oper oder Kindergarten – was ist Euch wichtiger?“ Für Grautöne ist da kein Platz, um die alten Argumente von Kulturpolitikern und Intendanten geht es nicht – die wollen Mario Barth und sein Publikum gar nicht hören. Viel zu kompliziert. Viel zu unlustig.
Was also tun? Ihn ignorieren? Ihn einfach rechts liegen lassen? Ihn als Mainstream-Populisten abstempeln und damit auch sein Publikum für die Kultur, wie wir sie verstehen, verloren geben und die Theater zu jenen Tempeln machen, als die sie von Barth und seinen Freunden eh gesehen werden: als hochsubventionierte Unterhaltungsburgen für die Elite?
Der Humor-Unternehmer
Mario Barth schaut als Humor-Unternehmer auf unsere Kultur und unsere Welt. Allein deshalb spricht er eine andere Sprache. Er muss keine öffentlich-rechtlichen Fernsehgebühren legitimieren, sondern wird durch den Erfolg der Quote bei RTL legitimiert. Auch das ist ein Grund seines Erfolges: Barth muss sich nicht mit Konventionen aufhalten, sondern richtet seine Rhetorik und seine Witze allein an der Masse aus. In Wahrheit ist er damit nicht der Aufklärer, als der er sich gerne ausgibt, sondern jemand, der lediglich das sagt, was sein Publikum hören will. Darin unterscheidet er sich grundlegend vom Theater, das noch immer daran glaubt, das Publikum zum selbständigen Denken anzuregen, Vorurteile zu relativieren und neue Perspektiven anzubieten. Barth ist dauernde Bestätigung und Theater ist das dauernde In-Frage stellen.
Und vielleicht liegt genau darin ein Schlüssel seines Erfolges: Die Subventionskultur hat es immer schwer, sich gegenüber der Massenkultur zu behaupten, ebenso wie ein Politiker, der komplexe Abwägungen treffen muss, es schwer hat, sich den leichten Schemata des Populismus zu widersetzen.
Nicht beleidigt sein
Im Grunde stellt Barth, gerade in seiner Opern-Sendung, ja durchaus legitime Fragen: Was ist das für ein Theater, das der Steuerzahler da subventioniert? Warum wird eine Kultureinrichtung staatlich gefördert, die hauptsächlich von gut situierten Menschen besucht wird? Wie soll sich eine Bevölkerung verhalten, wenn an Kindergärten und Bildung gespart wird, gleichzeitig aber Theater unterhalten werden? Und welche Ästhetik wird an unseren Theatern eigentlich bedient? Antworten auf diese Fragen fallen dummerweise etwas komplexer aus als ein Kalauer von Barth. Und, zumindest das muss man Barth zugestehen: Ein Großteil unserer Theatermacher ist bei der Beantwortung dieser Fragen mindestens so selbstgefällig wie viele Profi-Politiker, in die Menschen das Vertrauen verloren haben.
Und doch gibt es durchaus auch im Theater etwas, das Barth und sein Publikum mehr überzeugen könnte als jedes Argument: Sinnliche Aufführungen, Gänsehaut, Leidenschaft. Denn letztlich beginnt auch die Oper stets im Populären, schafft es – egal, ob bei Mozart, Verdi oder Wagner – das Große und Ganze auf das Private und Kleine herunterzubrechen. Theater ist unterhaltsame Bildung, und deshalb ist es wichtig, dass die Theater sich attraktiv machen, auch für das Stammpublikum von Mario Barth. Das erreichen sie nicht, indem sie ihren Helden als asozialen Proleten-Populisten abstempeln. Das schaffen sie nur, indem sie uns begeistern, indem sie es schaffen, möglichst viele junge Menschen in die Theater zu holen, indem sie möglichst viele erreichen und zeigen, wie schön und befriedigend es sein, Antworten in der Tiefe zu finden. Oder überhaupt erst einmal: die richtigen Fragen zu stellen.
Kultur ist der Anfang der Aufklärung
Die Theater und die anderen Kultureinrichtungen sind vielleicht die besten Orte, an denen erfahren werden kann, wie langweilig und blöde das Einfache, das Populistische, das Kleinschrumpfen sein kann. Allgemeine Kultur ist der Anfang für eine aufgeklärte Gesellschaft. An Mario Barth ist dieser Zug vorbei gefahren – er tritt den Beweis an, dass man auch ohne Kultur erfolgreich sein kann.
Um so wichtiger, gerade in diesen Zeiten, dass unsere Theater sich durch ihn nicht beleidigt fühlen, sondern Barth und seinen Humor als Herausforderung verstehen – als Bestandsaufnahme eines großen Teils unserer Wirklichkeit, auf den die Bühne reagieren kann und muss. Am besten, indem unsere Theater Michelle Obamas Spruch ernst nehmen: „When they go low, we ho high!“ Nur so können wir die Kultur als grundlegendes Allgemeingut vor dem dummen, aber durchaus erlaubten Humor von Mario Barth in Schutz nehmen.
Christine Prayon mit ihrer wirklich klugen Mario-Barth-Satiere.